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Neue Reben hat das Land

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Neue Reben hat das Land

Aktuelle Daten zeigen: Der Klimawandel schreitet voran. Der Mai und der Juni 2014 waren mal wieder die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnung vor über 100 Jahren. Vor zwei Jahrzehnten hätte man einem solchen Sommer, wie wir ihn im letzten Jahr erleben durften, noch das Prädikat „Jahrhundertsommer“ angehängt. Heute ist es fast schon Normalität. Das hat bereits heute gravierende Folgen für Flora und Fauna, für Land- und Forstwirtschaft und auch den Weinbau.

Wenn man den jüngsten Prognosen der Klimatologen Glauben schenken darf, wird sich der Klimawandel in den kommenden 20 Jahren noch verstärken und beschleunigen – nicht nur mit häufigeren und heftigeren Starkregenfällen samt Überschwemmungen, sondern vor allem auch mit immer mehr Hitzeperioden und Dürren in allen Teilen Deutschlands.

In manchen Gegenden Norddeutschlands werden bereits heute Zitronen reif, Palmen und Olivenbäume können draußen überwintern. Die nördlichsten Weinberge Deutschlands stehen am Harz, auf Sylt oder am Ostseestrand auf der Insel Usedom. Die nördliche Weinbaugrenze verläuft durch England und Skandinavien und nicht mehr am Rheinknie, wie es noch immer in veralteten Nachschlagewerken zu lesen ist.

Viele Vorgärten erfreuen uns mit einer subtropischen Vegetation. Mittelmeerfische werden zunehmend in der Nordsee heimisch und in den Weinbergen entlang von Rhein, Main und Neckar gedeihen inzwischen immer mehr Rebsorten, deren Heimat eigentlich in Österreich, Italien, Frankreich, Spanien oder gar Südafrika liegt.

Hier zeigt der Klimawandel sein freundlichstes Gesicht, und eine junge, bestens ausgebildete Winzergeneration macht sich dies erfolgreich zunutze. Bis zum Jahr 2040, so der Klimatologe Prof. Dr. Manfred Stock vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in seiner neuesten Untersuchung, werden im Oberrheingraben klimatische Zustände herrschen, wie wir sie eigentlich aus dem Rhône-Tal gewohnt sind. Man würde dort dann Weine im Stil eines Châteauneuf-du-Pape keltern können. Unter diesen Bedingungen könnte Deutschland ab den 2020er Jahren zu einem der interessantesten und innovativsten Weinbauländer der Welt werden.

Die Einwanderer kommen

Wie dramatisch und rasch dieser Wandel vor sich ging, belegen einige Zahlen. Im Jahr 1987 gab es in Deutschland neben den klassischen Rebsorten wie Riesling, Silvaner, Müller-Thurgau, Lemberger oder Spätburgunder gerade mal 15 Hektar roten St. Laurent und einige wenige Hektar nicht genehmigter Chardonnayflächen in Baden. In Württemberg experimentierten Winzer wie Bauer in Flein und Aldinger im Remstal dank einer Ausnahmegenehmigung mit der Sorte Sauvignon blanc, belächelt von den einen, misstrauisch beobachtet von den anderen. Das ist gerade mal 25 Jahre her. Mittlerweile ist Chardonnay aus Deutschland längst eine Selbstverständlichkeit und Sauvignon made in Germany neben Pinot blanc der weiße Trendwein schlechthin.

In den 1990er Jahren nahm die Invasion dieser neuen Sorten so richtig Fahrt auf. Zunächst vor allem mit Chardonnay und Auxerrois. Kurz vor der Jahrhundertwende im Jahr 1998 gab es von diesen beiden Sorten bereits 537 Hektar. In diesem Jahr wurde im Rheingau aber auch der erste Merlot gepflanzt und fünf Jahre später erreichte bereits die Rhônesorte Syrah das Rheinknie auf der rheinhessischen Seite in Worms. Von da an gab’s kein Halten mehr. Und überall machte sich auch der Cabernet Sauvignon breit. Folge einer durch die EU erzwungenen Lockerung der Pflanzgenehmigungen, denn all diese Sorten waren bis zur Jahrtausendwende streng genommen verboten.

Im Jahr 2013 waren schließlich über 1 800 Hektar mit mehr als 20 Sorten bestockt, die es bis Mitte der 1980er Jahre in Deutschland nicht gegeben hatte: Cabernet franc, Cabernet Sauvignon, Merlot und Petit Verdot aus Bordeaux, Lagrein aus Südtirol , Sangiovese aus der Toskana, Tempranillo aus Rioja, Zweigelt und Grüner Veltliner aus Österreich, Syrah und Viognier von der Rhône, aber auch Exoten wie Malbec aus Argentinien, Petite Sirah und Zinfandel aus Kalifornien oder auch Pinotage aus Südafrika. Mit insgesamt 4 480 Hektar macht das bereits 4,4 Prozent der deutschen Rebfläche aus. Beim Rotwein sind es sogar über fünf Prozent.

Nach Gesprächen mit Winzern und Rebzüchtern lässt sich schätzen, dass diese Fläche bis 2020 auf 2 500 Hektar für die Rotweine wachsen wird und für die weißen Sorten auf deutlich über 3 000 Hektar. Wir können also durchaus davon ausgehen, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts eine zügige Romanisierung des deutschen Rebsortenspiegels stattfindet. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Winzer auch mit Grenache, Mourvèdre und Roussanne beschäftigen werden oder mit dem edlen ungarischen Furmint.

Für die hierzulande seit Generationen angebauten klassischen Leitsorten wie Riesling, Silvaner, Spätburgunder gäbe es zudem dank der neuen klimatischen Bedingungen ausreichend Möglichkeiten, in nördlichere Gebiete, in höhere Lagen oder in Seitentäler auszuweichen. In der Mitte und im Norden Deutschlands könnten Hunderte von potenziellen Terroirs exploriert werden, wenn man sich erst einmal von dem Gedanken gelöst hat, dass für Spitzenweinbau unbedingt Steillagen notwendig sein müssen. Aber diese gibt es schließlich weder in Bordeaux noch in der Champagne, nicht an der Loire oder in Südfrankreich, Australien oder Kalifornien, dennoch werden dort überall hervorragende Weine erzeugt.

Geesthänge und Kieskuppen, alte Flussbetten, verwitterte Sandsteinfelsen könnten im Wein genauso schwingen und klingen wie Basaltorgeln und Schieferterrassen. Gut ausgebildete junge Winzer, die bei ihren weltweiten Praktika vor allem in Südafrika und Neuseeland internationale Erfahrungen gesammelt und weit über den Tellerrand geblickt haben, gibt es genug. Sie werden die deutsche Weinlandschaft gründlich verändern. Deutsche Rhône Rangers? Warum nicht!

Mut zur Innovation im Süden

In Baden und Württemberg haben sich längst Winzer dahin auf den Weg gemacht. Die Syrah-Weine von Ziereisen im Markgräflerland oder von Jürgen Ellwanger und Graf Neipperg in Württemberg können mit ihren Qualitäten auch international mithalten. Das größte Versuchslabor für diese so fantastisch anmutende Weinzukunft ist das Anbaugebiet Pfalz.

Entlang der Deutschen Weinstraße von Schweigen und Ilbesheim im Süden bis Grünstadt im Norden befinden sich bereits all diese Sorten auf größeren und kleineren Flächen im Anbau. So gibt es einen reinsortigen Malbec von beachtlicher Qualität beim Weingut Stachel in Maikammer. Aber auch Genossenschaften mischen mit in diesem Spiel wie die Vier Jahreszeiten e.G. in Bad Dürkeim mit ihrem Tempranillo.

In Neustadt an der Weinstraße ist einer der innovativsten und experimentierfreudigsten Winzer zu Hause. Oliver Zeter hat gerade seinen ersten Syrah im Fass und er wartet voller Spannung auf die Jungfernernte seines Chenin blanc. Ein paar Dutzend Kilometer weiter südlich Richtung französischer Grenze experimentieren seine Kollegen Stefan Bietighöfer und der Négociant Stefan Dorst sehr erfolgreich mit der roten Sorte Pinotage, eigentlich eine Spezialität Südafrikas.

Wer diesen tiefdunklen Wein im Glas hat und sich an seinem ungemein würzigen Bukett erfreut, an eingedickter roter Frucht, Leder, Tabak und getrockneten Feigen, würde, wenn er es nicht wüsste, wohl nie auf den Gedanken kommen, dass es sich um einen deutschen Rotwein handelt. Auch Semillon hat Bietighöfer im Auge. Kombiniert mit seinem Sauvignon blanc könnte er sich gut eine Cuvée im feinsten Bordelaiser Stil vorstellen. Weißer Haut Brion von den Hängen der Haardt, das wär doch was, findet er.

Die Weegmüller-Schwestern in Haardt produzieren seit einigen Jahren einen Grünen Veltliner, der sich neben den besten Gewächsen aus der Wachau nicht verstecken muss. Das Weingut Bergdolt-Reif und Nett in Duttweiler zählen zu den Pionieren für die in Südtirol beheimatete Sorte Lagrein. Diese Weine stoßen beim Publikum inzwischen auf so großes Interesse, dass man sie vorbestellen muss, wenn man ein paar Flaschen davon haben möchte, denn sie sind meist sehr schnell ausverkauft.

Erstaunlicherweise erweist sich ausgerechnet eine eigentlich als schwierig geltende rote Sorte aus Bordeaux als besonders geeignet für deutsche Weingärten: Cabernet franc. Sie gedeiht überall dort, wo es dem Spätburgunder inzwischen zu heiß wird, besonders gut z. B. beim Weingut Zähringer in Südbaden, im Weingut Ackermann in Ilbesheim und vor allem im rheinhessischen Weingut Peth-Wetz in Bermersheim.

Dort hat Winzer Johannes Peth einen ganz besonderen Ehrgeiz  entwickelt. Er träumt von einem richtigen 5-Cépages-Médoc aus deutschen Landen und hat deshalb in seinen Weinbergen in Bermersheim bei Worms alle fünf klassischen Bordelaiser Rebsorten angepflanzt: Cabernet Sauvignon, Cabernet franc, Merlot, Malbec, Petit Verdot. Daraus hat er im Jahr 2011 erstmals eine komplette Bordelaiser Cuvée vinifiziert und in Barriques ausgebaut. Der bemerkenswert alkoholreiche Wein (14 Vol.-%) schmeckt zwar eher wie ein Saint-Émilion oder Castillon und nicht wie ein Médoc, aber auch das ist schon aller Ehren wert. So wird auch dieses Beispiel Schule machen, wenn es darum geht, die deutsche Weinszene auf den Kopf zu stellen.

Verkostungsnotizen

CABERNET FRANC

2011 Cabernet franc / Merlot No. 1, Weingut Ackermann (Ilbesheim, Pfalz): Dunkles, dichtes Rubinrot. Im Kern schwarz. Nase mit ener starker Würze über sehr reifer dunkler Kirschfrucht. Feine Rauchnote, auch ein Hauch gegrillter Paprika und Röstkaffee. Am Gaumen opulent, reif, reich und süss. Weich und geschmeidig, seidige Tannine. Kommt sehr sinnlich rüber mit einer leicht orientalisch anmutenden würzigen Note. Das können viele in Saint Emilion auch nicht besser.
17/20 –2025

2009 Cabernet franc, Weingut Matthias Gaul (Grünstadt, Pfalz): Dunkles Rubinrot. Nase mit einer reifen Cassis-Frucht, also sehr typisch für die Sorte, auch etwas Eukalyptus, ein Hauch von Kokos. Am Gaumen ein angenehmer Wein, frisch, harmonisch und saftig. Guter Abgang. Dürfte in den kommenden drei, vier Jahren mit etwas Reife noch etwas besser werden.
16/20 –2020

2011 Cabernet franc, Weingut Peth-Wetz (Bermersheim, Rheinhessen): Rubinot. Schöne würzige Nase mit etwas Kaffee, kleine grüne Paprikanote, sehr typisch für einen nicht ganz ausgereiften Cabernet franc. Am Gaumen geschmeidig,  etwas Alpenkräuter, rote Frucht, kleine Bitternote. Auch da also durchaus typisch. Es fehlt aber etwas an Dichte, Struktur und Länge.
15 +/20 –trinken

LAGREIN

2010 Lagrein, Weingut Gabel (Herxheim am Berg, Pfalz): Rubinrot, leicht heller Rand. Nadse mit warmer roter Frucht etwas süssses Gebäck, auch etwas gemüsig, erdig und Kräuternuancen. Am Gaumen ein eher leichter Wein. Gute Säure. Auch das eher die Abteilung guter Jausenwein, aber nicht so deftig sondern feiner.
14/20 –trinken

2011 Lagrein “Kolben” , Weingut Bergdolt-Reif & Nett (Duttweiler, Pfalz): Dunkles Rubinviolett. In der Nase Kirsche und Pflaume, eine würzig, pfeffrige Note, auch etwas mostig und vanillig-malzig. Wirkt am Gaumen recht deftig, fleischig, opulent und süss. Würziges Pflaumenkompott. Deutlicher Abgang. Das ist einer aus der Abteilung guter Brotzeitwein zu Speck und würzigem Käse.
15+/20 –trinken

2012 Lagrein – R -, Weingut Keller (Worms, Rheinhessen): Dunkles, dichtes Rubinrot. Sehr würzige Nase, aufgebaut auf reifer, dunkler Fucht. Mit der Zeit ein wenig Tabak. Am Gaumen frisch, saftig, fruchtbetont. Wirkt mit seiner nervigen Säure eher schlank und kühl, jedenfalls sehr lebendig und (zu) jung. Mittlerer Abgang.
16/20 –2020

MALBEC

2011 Heiligenberg Malbec, Weingut Erich Stachel (Maikammer Pfalz): Dunkles, tiefes Rubinviolett. Nase mit verhaltener, dunkler Pflaumenfrucht und starker Würze, etwas Lakritz. Am Gaumen saftig, dicht und kraftvoll, sehr robust, schöne Säure, aber auch Süsse. Im besten Sinne erdig, bäuerlicher Charakter, deftig, mittlerer Abgang. Das ist kein grosser Wein, aber ein überraschend sortentypischer.
15 +/20 –2020

PETIT VERDOT

2011 Peth-Wetz Petit Verdot, Weingut Peth-Wetz ( Bermersheim, Rheinhessen): Tiefes Rubinrot. Dunkle Frucht von Brombeere und Cassis, mit der Zeit auch Pflaume, rauchig unterlegt. Dazu feine, exotisch pfeffrige Gewürznoten und etwas Tabak.  Am Gaumen eine schöne stoffige Art, geschmeidig, aber dabei durchaus auch kraftvoll und dicht. Der Wein hat 14 Vol.-% Alkohol und der 18- monatige Ausbau in französischen Barriques hat ihm gut getan. Er wurde unfiltriert gefüllt. Das hat ihm eine gewisse fleischige Textur belassen. Es ist wirklich erstaunlich, dass ein Petit Verdot hierzulande eine solche Reife erlangen kann. Das reicht (noch) nicht an die Wucht und die Kraft  dessen heran, was ich aus dem Bordelais oder aus Übersee kenne. Aber dabei handelt es sich durchweg auch um wesentlich ältere Rebanlagen und um noch heissere Klimata. Ein Anfang ist damit aber in Deutschland gemacht und dieser Anfang ist vielversprechend.
16/20 –2020

PINOTAGE

2011 Pinotage, Weingut Bietighöfer und Stefan Dorst (Billigheim-Ingenheim, Pfalz):  Dunkles Rubinviolett. Sehr tiefe Farbe. Viel Depot. Ein ungemein würziges Bukett in der Nase, dicht, eingedickte rote Frucht, etwas Leder und Tabak. Am Gaumen mollig und opulent, einerseits eine konzentrierte, dichte und süsse Pflaumenfrucht, die aber zugleich auch vorne von wunderbarer Klarheit ist. Auch da gibt es im Nachklang eine feine Tabaknote, etwas Honig und getrocknete Feigen. Das ist komplex und vielschichtig. Bereitet einen enormen Trinkspass!
17/20 – 2025

TEMPRANILLO

2012 Tempranillo, WG Vier Jahreszeiten (Bad Dürkheim, Pfalz): Rubinrot. Nase mit einem sehr würzigen Kirchduft. Am Gaumen sehr frisch, saftig, für den Alkohol bemerkenswert leichtfüssig, schöne fruchtige Süsse, sehr weich, rote Frucht, etwas schokoladig. Fehlt aber an Gerbstoff. Daher nicht unbedingt typisch für Tempranillo. Dafür fehlt es auch an Säure. Aber ein angenehmer, südlich wirkender einfacher Tischwein mit einem ordentlichen Preis-Leistungsverhältnis.
14/20 –trinken

VIOGNIER

2011 Emotion CG Viognier, WG Cleebronn ( Zabergäu, Württemberg): Strohgelb. Nase mit einem verhaltenen Duft nach gelben tropischen Früchten, dezente Würze, feine Holznoten. Am Gaumen ein saftiger, dichter und ausgewogener Wein mit harmonischer Fruchtsüsse. Nachhaltig und lang im Abgang mit feinen, nussigen Röstaromen und etwas Schokolade.
16/20 –trinken

2012 Viognier, Weingut Oliver Zeter (Neustadt/Weinstrasse, Pfalz): Kräftiges Strohgelb bis goldfarben. Was für eine wunderbare Nase: Marmorstaub, reife gelbe Frucht, schöne Würze vom Holz, mit der Zeit intensive Kräuterwürze. Das ist ziemlich perfekt. Am Gaumen eine schöne Opulenz, reif, ausdrucksstark, komplex. Tropische Frucht, saftig und dicht. Langer Abgang.
17/20 –2020

Foto:  Neue Reben hat das Land: Christian Nett vom Weingut Bergdolt-Reif & Nett baut in der Pfalz erfolgreich Lagrein an

Text: Mario Scheuermann, Foto: Weingut Bergdolt-Reif & Nett


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