Der Jahrgang 2021 erwies sich als besser als der Jahrgangsverlauf und die Herausforderungen im Weinberg es vermuten ließen. Nach drei warmen Sonnenjahren mit dem “Magischen Triple“ (Titel in WW 06/21?) folgte ein kühles Millésime mit viel Regen, Frost und einem recht durchwachsenen Sommer. 2021 präsentiert sich entsprechend als heterogen, aber dennoch gab es viele sehr gute bis herausragende Weine und einige wenige sogar nahe dem Niveau der gigantischen Vorjahre. Selten zuvor habe ich es erlebt, dass ein Jahrgang so schwer einzuordnen war. Manche bemühen den etwas abgedroschenen und dehnbaren Begriff der „Klassik“. Klar war es ein Jahr des Terroirs und vielerorts der Cabernets, und zwar am Linken und Rechten Ufer, hier vor allem der Cabernet Franc. Tjark Witzgall und ich waren mehrere Wochen kreuz und quer in Bordeaux unterwegs und verkosteten nahezu 600 Muster.
In kühlen, oftmals herausfordernden Jahren bemüht man gerne das Wort der „Klassik“ und für 2021 sogar „Neo Klassik“. Was das genau heißt, ist freilich der freien Interpretation zugänglich. Was aber zutreffend ist: Nach mehreren warmen Jahren mit hohen Alkoholwerten und dichter Konzentration, zeigt sich 2021 in diesem Sinne „klassisch“. Die meisten Weine liegen wieder im Normbereich von rund 13 %-vol. – also ein sehr gutes Jahr für Klassik-Romantiker und Liebhaber des etwas schlankeren Bordeaux-Stils. Es ist eine Art „Neo-Klassik“, weil man solche Jahrgänge heutzutage mit mehr Know-how vinifiziert. Auch haben die meisten Bordeaux mit dem alten Claret-Stil, der auch dieser Tage gerne zitiert wird, wenig zu tun. Die neuen Techniken und ausgeklügeltere Weinbergsarbeit ermöglichen es den Gütern, konzentriertere Weine als noch vor 20 oder 30 Jahren zu produzieren.
Die Muster zeigten eine attraktive Frucht mit schöner Frische, Saftigkeit und meistens eine reife Tanninstruktur. Jedenfalls dort, wo man die Cabernets (Sauvignon und Franc) ausreifen ließ. Denn eine längere Vegetations-periode war möglich, wenn man die Trauben ausreifen ließ. Das war natürlich nicht ganz so einfach, weil zu dem ohnehin schon verregneten Jahr und dem kühlen Sommer die Wettervorhersagen weiteren Regen verlauteten. Wer hier kalte Füße bekam und früh die Ernte einfuhr, riskierte unreife Noten im Wein mit eingeschränkter Aromenkomplexität. Wer aber wartete, wurde belohnt. Glücklicherweise wendete sich nämlich das Batt gerade noch rechtzeitig.
Der Jahrgangsverlauf
Die Blüte begann Ende Mai / Anfang Juni und damit etwa zwei Wochen später als im Jahr 2020 in einem warmen, trockenen Klima. Auf die Regenfälle folgte ein starker Temperaturanstieg im Juni, der zu einem explosiven vegetativen Wachstum führte. Kurz nach einem Sturm mit sintflutartigen Regen am 19. Juni musste man dem Auftreten von Falschen Mehltau bis zum Ende der Reifezeit mit entsprechenden Gegenmaßnahmen und Pflanzenschutz begegnen. Es folgte bis Mitte August ein durchwachsener, ungewöhnlich kühler Sommer, der das Wachstum der Reben verzögerte.
Ein großes Aufatmen ging durch Bordeaux, als sich das Wetter in einer Art „Last-Minute-Sommer“ besserte und der Reifungsprozess der Trauben rechtzeitig zur Ernte wieder aufgenommen wurde. Das war dann auch die Belohnung und Entschädigung für die harte Arbeit während des Jahres im Weinberg, die die Natur mehr oder weniger über das ganze Jahr hinweg den Winzern abverlangt hat. Hohe Niederschläge zu Beginn des Jahres und Rekordregen in Mai und Juni sorgten für erheblichen Krankheitsdruck (Peronospora). Dann nochmal – wie schon in 2017 – der Frost Anfang und Ende April. Die Frostschäden waren hier im Mittel aber nicht so verheerend wie in 2017. Dann folgte zwar eine längere Trockenperiode aber die Temperaturen lagen im Schnitt rund 1-2 Grad unter den Vorjahren. Dem Bordelais blieb also wenig erspart, die letzten schönen Wochen vor der Lese und die erhebliche Arbeit in Weinberg machten es möglich, einen guten bis sehr guten Jahrgang zu vinifizieren. Entscheidend waren, wie gut das Terroir die Wassermengen wegsteckte, die intensiven Arbeiten im Weinberg und eine sehr strikte Selektion der heterogenen Trauben.
Guter bis sehr guter Jahrgang, aber extrem heterogen
Die Qualität der probierten Muster liegt auf einem recht hohen Niveau. Im Cru Bourgeois-Bereich merkt man zwar schon, dass die etwas weniger guten Terroirs nicht unbedingt bevorteilt waren. Der Merlot, ohnehin am Linken Ufer zunehmend in geringeren Anteilen im Blend eingesetzt, hatte es im Jahr 2021 schwer und war etwas verwässert. Das zeigt sich bei manchen Weinen im Mid-Palate, wo eben etwas die Konzentration und Tiefe fehlt, während die Cabernets unglaublich intensiv und frisch sind, was diesem Jahrgang die Eleganz und feine Würze verleiht. Am Rechten Ufer gab es entsprechend einige stilistische Überraschungen. Das sagenumwobene Pétrus, das in diesem Jahr von noch weniger Experten zu verkosten war, präsentierte einen relativ hellfarbenen Wein, wie ich ihn hier noch nie gesehen habe. „Wir haben sehr sanft extrahiert, weil wir keine aggressiven Tannine haben wollten. Das ist unsere Interpretation des Jahrgangs, weil wir der Überzeugung sind, dass es besonders auf die Qualität der Tannine ankommt“, erklärt mir Olivier Berrouet. So zeigt sich der Petrus erstaunlich schlank, ohne den hier schon in der Jugend so verführerischen Schmelz und der Sexyness. Ein leiser, delikater, fast schon burgundisch wirkender Petrus mit seidigen Tanninen. Ähnlich sah es bei Vieux Château Certan aus – ein sehr finessenreicher Pomerol mit viel aromatischer Tiefe. Cheval Blanc und Ausone gelangen dagegen wie sonst auch der Spagat aus Kraft und Eleganz. Die Weine wirkten nicht ganz so schlank und hatten dennoch viel Finesse zu bieten. Am ehesten, so war oft zu hören, wird 2021 wohl in einer Reihe mit 1996, 2001, 2008, 2012 und 2014 einzuordnen sein. In jungem Alter schon so verführerische zugängliche Weine, die aber auch eine lange Zukunft vor sich haben.
Nach den fetten Jahren gilt also: Back to the roots, back to more (neo)-classic. Aber auch back to “classic” bei den Preisen? Das ist derzeit noch die große Frage.
Kampagne und Preise – Quo vadis?
Ich habe vor Ort mit unzähligen Châteaux-Besitzern und Négociants freilich auch über die Preise gesprochen. Selten gab man sich hier derart zugeknöpft. Denn das Jahr wird kontrovers diskutiert. Aber einigen konnte ich entlocken, dass sie nicht von einem Preisrückgang ausgehen. Dazu kommt, dass aufgrund der teils desaströsen Wetterkapriolen sehr niedrige Erträge eingefahren wurden. Das schränkt den Spielraum weiter ein. Aber warten wir es mal ab. Denn in der Logik der Jahrgangsqualität müsste man schon die Preise entsprechend etwas anpassen. Klar, die Inflation treibt auch hier die Produktionskosten an. Aber das Niveau des „magischen Triple“ war schon sehr hoch. Als WeinWisser-Abonnent waren Sie im Übrigen bestens beraten, wenn Sie gerade bei 2019 und 2020 zugeschlagen haben. Einige unserer Top-Empfehlungen haben sich im Preis verdoppelt, wenn man sie denn überhaupt noch bekommt (siehe die Ausgaben 04/22 und 06/21). https://bit.ly/Special_Best_of_Bordeaux2020
Doch was können wir von 2021 erwarten?
Mein Eindruck ist, dass sich die Châteaux-Besitzer an den Vorjahren orientieren und nicht mit einem (großen) Preisnachlass zu rechnen ist. Dazu sind die Mengen zu niedrig. Vermutlich wird man verschiedene Tranchen machen und einen Teil der Produktion erst später auf den Markt bringen, um das Angebot zu verknappen. Ob und wie der Markt das annimmt, bleibt abzuwarten. Unsicherheitsfaktoren gibt es zu Genüge. Dessen ungeachtet geben sich die Patrons aber selbstbewusst.
Bei einem privaten Mittagessen mit Pierre Lurton sagte mir dieser, auf die Preise angesprochen: „Wer einen guten Wein gemacht hat, wird wenig Anlass sehen, die Preise zu reduzieren. Ich glaube nicht, dass wir da einen großen Rückgang sehen werden“, meinte der Chef gleich zweier Bordeaux-Ikonen wie Cheval Blanc und Château d’Yquem. Auch andere äußerten sich eher zurückhaltend, wenn ich sie auf mögliche Preisanpassungen ansprach. Das liegt natürlich auch daran, dass sie sich mit Blick auf die Verhandlungen mit den Négociants nicht in die Karten schauen lassen wollen. „Der Feind hört mit“, sagte mir ein Château-Besitzer schmunzelnd unter vorgehaltener Hand.
Attraktive Preise sind der Schlüssel
Auch die bekannte Handelsplattformen Liv-Ex kommt in einem kürzlich veröffentlichten Research zu dem Schluss, dass eine attraktive Preisgestaltung nach wie vor der Schlüssel zur Stimulierung der Nachfrage ist und dass Bordeaux „ein attraktives Angebot für alle an der Lieferkette Beteiligten sein muss“.
Es wird also spannend sein, so spannend wie der Jahrgang selbst.
Fazit: Ein heterogener Jahrgang, der eher den Cabernet favorisierte. Dennoch kann man nicht sagen, es war ein Jahr des Linken Ufers. Dazu war das Jahr zu uneinheitlich. Es war ganz sicher ein Jahr des Terroirs und der Arbeit im Weinberg. Edouard Moueix will den Erfolg dieses Jahrganges nicht nur dem Lagenvorteil zuschieben: „2021 ist das Jahr der Männer und Frauen, die jeden Tag (auch am Wochenende) im Weinberg gearbeitet haben.“
Die Weine haben eine sehr schöne Frucht, charmante Textur und eine feste, aber gesunde Tanninstruktur, die meistens von den Trauben und nicht vom Holz kommt. Sie haben mehr Frische und weniger Alkohol. Manche Weine sind im Mid-Palate etwas verwässert, aber dennoch gibt es viele wirklich sehr schöne, ausdrucksstarke Weine. Sofern die Preise stimmen, sollte man hier selektiv zugreifen. Unsere Top-Empfehlungen mit ausführlicher Berichterstattung finden Sie in der nächsten Ausgabe des WeinWissers. Unter anderem gibt es ein Spezial zur spektakulären Kellereinweihung von Haut-Bailly mit einem Exklusivinterview mit Veronique Sanders und vielen weiteren Spezials. Die Best-of-Liste mit den Bewertungen und Trinkfenstern gibt es ab heute exklusiv im Abonnentenbereich (Link zur Datenbank siehe unten) und Neukunden bekommen sie vorab als e-Mail (bitte an weinjournalist@yahoo.de)!
Ein tolles Jahr für Weißweine und Sauternes
Das kühlere Jahr hat den Weißweinen in die Karten gespielt. Die trockenen Weißen sind kraftvoll, mit guter innerer Dichte und Konzentration und dennoch klar auf der frischen Seite. Sie zeichnen sich durch eine helle Frucht, feine mineralische und kräutrige Noten, wo das Terroir es hergibt, sowie durch eine vitale, zuweilen pikante Säure aus, die den Weinen eine außergewöhnliche Spannung verleiht.
Dies gilt umso mehr für Sauternes und Barsac, denn die Frische und der mineralische Zug kontrastieren die Süße wunderbar. Die Erträge sind schmerzhaft winzig – der von Suduiraut zum Beispiel liegt bei lächerlichen 1 hl/ha. Angesichts dieser begrenzten Mengen wird es schwierig sein, sich auch nur eine Kiste en primeur zu sichern.
Das berühmte Sauternes-Flaggschiff Château d’Yquem wird seinen Wein erst 2024 präsentieren. Der bei einem exklusiven Empfang gereichte 2019er tröstete darüber hinweg. Ein genialer Süsswein, der wie ein Pfeil gespannt ist: linear, präzise und wohlgeformt – und einfach köstlich (20/20).
Viele Sauternes zeigen ein grandioses Süße-Säure-Spiel wie wir es von deutschen Edelsüssen kennen. Sie vereinigen eine schöne Spannung zwischen der fast perfekten Botrytis und der charakteristischen Frische und Pikanz des Jahrgangs. Selten so wunderbare animierende und doch schmelzige Süßweine hier verkostet.
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