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Editorial 09-24

Editorial 09-24

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Editorial 09-24

Liebe Weinwisser,

während ich diese Zeilen schreibe, ist die Lese vielerorts schon in vollem Gange. Ich bin gerade zurück vom «Single Vineyards Summit» in Österreich, wo derzeit starke Regenfälle vor allem in den niederösterreichischen Weinanbaugebieten zu Überschwemmungen geführt haben. Nicht nur die noch nicht gelesenen Trauben, sondern auch einige Weinkeller sind in Mitleidenschaft gezogen worden. Hier genießen wir zum Glück einen Indian Summer. Aber das Klima wird für viele Winzer weltweit zunehmend zum Roulette-Spiel. Nur eins ist gewiss: Es kann jeden treffen.

Aber zurück zum Jahrgang 2023, der in der Spitze extrem viele Weltklasseweine hervorgebracht hat. Dies war aber alles andere als ein Kinderspiel. Und alles andere als homogen. Einer streckenweise extremen Trockenheit folgten wochenlange starke Niederschläge, die wiederum in einen extrem warmen Spätsommer mündeten. Die Winzer hatten also mit nicht ganz einfachen Wachstumsbedingungen zu kämpfen. Zudem förderten die warmen Temperaturen die Gefahr von galoppierender Fäulnis. Erforderlich waren über das ganze Jahr über top gepflegte Weinberge, eine sehr sorgfältige und strenge Selektion sowie eine kluge Erntestrategie.

Aufgrund des zunehmenden Fäulnisdruckes war eine Turbo-Lese nötig. «Man konnte sehr schnell zu spät sein», resümiert Theresa Breuer. «Für den Rüdesheimer Berg war das Wasser essenziell und dank der Drainage auch gut verkraftbar, für tiefgründige Böden war es zu viel».

Der Jahrgang 2023 zeigt insgesamt endlich wieder Weine mit einer authentischen Frische und in den besten Fällen Weine von großer Strahlkraft. Wer seine Weinberge im Griff hatte und bereit war, die faulen Trauben radikal auszusortieren und streng zu selektionieren, konnte große Weine machen. Oder wie Tim Fröhlich im Exklusivinterview auf Seite 15 zusammenfasst: «Ein Jahr des Fleißes und der Konsequenz». Und so brillierte die Spitze wie lange nicht mehr.

Philipp Wittmann weist darauf hin, dass es nicht überall so feucht zuging. «Wir hatten einen relativ trockenen Herbst mit vielleicht zwei bis maximal drei Regentagen, insofern hatten wir diese Thematik überhaupt nicht. Die Niederschläge im Juli bis Anfang August waren hingegen sehr hilfreich für die Reben, sagt er im Exklusivinterview auf Seite 25.

Ein Jahr, das tendenziell drainierende Terroirs bevorzugte und große Winzerkunst erforderte, um Spitzenweine zu erzeugen. Davon gab es tatsächlich einige Exemplare, immerhin haben wir fünf Weine mit 19.5/20 Punkten prämiert. Bei der Spitze und auch bei den 19+/20 liegen wir deutlich über dem Vorjahr. Leider gibt es aber auch etliche Weine, die entweder phenolisch und weniger präzise wirkten oder eben technisch sauber, aber zu brav waren – beides genügt dem hohen GG-Anspruch der herkunftsgeprägten Spitzenweine nicht. Aber unsere Leser wissen und schätzen uns dafür, dass wir strenger bewerten als manche unserer Kollegen.

Die besten 2023er trockenen Rieslinge kommen aus Rheinhessen, von der Nahe, aus der Pfalz und dem Rheingau. Bei den Spätburgundern siegen Fürst, Huber und Keller. 2023 ist bei den weißen Pinots ein gutes Jahr, da die frühen Sorten nicht ganz so von den andauernden Regenfällen betroffen waren. Bei den 2022er roten Pinots bestand die Herausforderung für die Winzer meist darin, die Spätburgundertrauben zum richtigen Zeitpunkt vom Stock zu holen, wobei trotz Global Warming bisher eher selten eine so tolle Ausreifung möglich war. Das Jahr 2022 brachte eine Fülle an exzellenten Spätburgundern hervor wie wohl nie zuvor.

Es ist keine einfache Zeit für den deutschen Spitzenwein, umso erfreulicher, dass sich viele Winzer mit viel Aufwand, neuen Rezepten und kluger Weitsicht auf die neuen Zeiten einstellen.

Ich wünsche Ihnen viel Genuss beim Lesen, Entdecken und Nachprobieren

Giuseppe Lauria

Chefredakteur WEINWISSER

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